Fredericksburg 1862: „Wenn Schädel wie Eierschalen zerbrechen“ - WELT (2024)

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Es kommt ziemlich selten vor, dass ausgerechnet ein Militär zum modischen Trendsetter wird, zumal wenn sich mit seinem Namen schwere Niederlagen verbinden. Ein rares Gegenbeispiel bietet Ambrose Burnside (1824–1881), General der US-Nordstaaten. Weil die Soldaten beider Seiten sich die britische Gesichtsbehaarung des Krimkrieges zum Vorbild nahmen, ließen sich auch die Generäle Vollbärte wachsen. Burnside erfand seinen eigenen Stil, indem er sein Kinn ausrasierte und die Koteletten buschig stehen ließ. Damit bereicherte er die englischsprachige Barbierwelt mit dem Begriff „Sideburns“.

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Überhaupt präsentierte sich Burnside als Neuengland-Gentleman. In der Militärakademie von West Point zum Artilleristen ausgebildet, nutzte er seine damit erworbenen technischen Kenntnisse, um nach Einsätzen in Mexiko und an der Frontier in der Wirtschaft Karriere zu machen. Die Erfindung eines Karabiners erwies sich zunächst als Flop und hätte ihn beinahe ruiniert. Auch der Einstieg in die Politik scheiterte zunächst. Aber als Mitglied im Vorstand einer Eisenbahngesellschaft fand er eine einträgliche Beschäftigung.

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Daneben profilierte sich Burnside als Milizkommandeur des US-Bundesstaates Rhode Island. Nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges 1861 erhielt er damit den Rang eines Colonels und stieg weiter auf. Einige erfolgreiche Aktionen trugen ihm im März 1862 die Beförderung zum Generalmajor ein. Damit war er einer der ranghöchsten Unions-Kommandeure auf dem Kriegsschauplatz östlich der Appalachen.

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Der Zufall wollte es, dass Burnsides Vorgesetzter als Oberbefehlshaber der Potomac-Armee George McClellan war, mit dem er vor dem Krieg bei der Illinois Central Railroad zusammengearbeitet hatte. Im Gegensatz zu Burnside hatte McClellan West Point als einer der Jahrgangsbesten absolviert und hielt sich für eine Inkarnation Napoleons I. Mit seinem Organisationsgeschick formte er aus der Potomac-Armee ein schlagkräftiges Kriegsinstrument, das an Größe und Ausrüstung seinem Gegner, der konföderierten Army of Northern Virginia des Generals Robert E. Lee, deutlich überlegen war.

Allerdings fehlten McClellan Intuition, Aggressivität und Risikobereitschaft Napoleons. Stets war der Gegner zu stark, das Wetter zu schlecht, der Munitionsvorrat noch nicht aufgefüllt oder die Kavallerie in schlechter Form, um einen entscheidenden Schlag anzusetzen, sodass die Liste der versäumten Chancen oder gar Niederlagen immer länger wurde. Zwar gelang es McClellan im September, Lees Invasion Marylands zu stoppen und ihm am Antietam eine taktische Niederlage beizubringen. Aber die von US-Präsident Abraham Lincoln anschließend geforderte Offensive verweigerte er.

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Antietam 1862

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Im November 1862 verlor Lincoln endgültig die Geduld mit seinem zaudernden General und ersetzte ihn durch Burnside. Der war alles andere als erfreut darüber. Bereits zuvor hatte er Fühler aus Washington zurückgewiesen, die ihm das Oberkommando angetragen hatten. Auch jetzt fühlte sich Burnside der Verantwortung für eine 110.000 Mann starke Armee nicht gewachsen.

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Von da an setzte er offenbar alles daran, dies auch zu beweisen. Zunächst jedoch ging alles glatt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger setzte er seine Armee umgehend in Richtung der konföderierten Hauptstadt Richmond in Virginia in Marsch und erreichte erstaunlich schnell den Fluss Rappahannock gegenüber Fredericksburg. Das überrumpelte seinen Gegner Lee, der damit nicht gerechnet hatte. Aber die Chance zu einem weiteren Vorstoß schwand, je länger die Truppe auf die Pontons warten musste, die in der Eile zurückgeblieben waren.

Die Woche, die ihr Heranschaffen in Anspruch nahm, gab den 75.000 Südstaatlern Zeit, ihre Stellungen auf dem Hochufer bei Fredericksburg auszubauen. Dennoch hielt Burnside an seinem ursprünglichen Plan fest, den Feind frontal anzugreifen. Das werde ihn „am meisten verblüffen“, wies er Ratschläge ab, den Flussübergang an einer weniger exponierten Stelle zu versuchen.

Am 13. Dezember, einem bitterkalten Wintertag, griffen die Unionstruppen an. Burnside wies sein Zentrum an, den Gegner zunächst zu binden, während der rechte Flügel Lees Armee in der Flanke aufrollen sollte. Erst wenn das geschehen war, sollte ein gemeinsamer Großangriff Lees Armee vernichten.

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Möglicherweise waren es unklare Befehle, die den zuständigen Unionskommandeur daran hinderten, seine gesamte Truppe in den Kampf zu werfen. Zwar gelang es dem General George Gordon Meade (der bei Gettysburg die Potomac-Armee führen sollte), die graue Front zu durchbrechen. Aber im Gegenzug konnte Lee das Loch wieder stopfen und die Lage an seiner Linken stabilisieren.

Nördlich davon rückten nun auch die anderen Unionstruppen vor. Vor ihnen lag Marye’s Heights, ein Hügel, dessen Hang mit Sumpf und Kanälen durchzogen war und auf dem ein Hohlweg hinter einer massiven Steinmauer den Konföderierten gute Deckung bot. Wiederholt stürmten die Nordstaatler bergan, um jedes Mal vom gezielten Feuer der Südstaatler zurückgeworfen zu werden.

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Was die Soldaten antrieb, es wieder und wieder zu versuchen, hat einer von ihnen sarkastisch formuliert:

„Wie vernahmen während des ganzen Krieges, dass die Armee ,darauf brennt, dem Feind entgegenzuziehen’. So muss es gewesen sein, denn zuverlässige Reporter schrieben es, und Leitartikler betätigten es. Aber wenn man diesen speziellen Kitzel einmal fassen wollte, war es immer das Nachbarregiment, das ihn verspürte. Die Wahrheit ist anders: Wenn Kugeln gegen Baumstümpfe prasseln und scharfe Schüsse die Schädel wie Eierschalen zerbrechen, hat der Durchschnittsmensch nur die eine verzehrende Leidenschaft, mit heiler Haut davonzukommen. Zwischen der physischen Angst vor dem Vorrücken und der moralischen Angst vor dem Umkehren steckt man in einem Dilemma von ausgesuchter Peinlichkeit.“

Am Ende bildeten die Toten von 14 blauen Brigaden einen regelrechten Wall vor der Steinmauer, ohne dass ein Einbruch in Lees Front gelungen wäre. Mit 13.000 Toten und Verwundeten waren die Verluste der Union fast dreimal so hoch wie die des Südens. Ein Sanitäter erinnerte sich, dass die Leichen „auf das Doppelte ihrer natürlichen Größe angeschwollen“ waren. Hier lag „einer ohne Kopf, dort einer ohne Beine, woanders lagen ein Kopf oder Beine ohne Rumpf … mit Granatsplittern im austretenden Gehirn und Einschüssen in den aufgedunsenen Gliedmaßen.“

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„Leichen schwollen auf das Doppelte ihrer natürlichen Größe an“

Burnside erlitt beinahe einen Nervenzusammenbruch. Zunächst wollte er an der Spitze seiner Reserven am 14. Dezember noch einmal angreifen und konnte davon nur mit Mühe abgehalten werden. Dann wagte er Tage später erneut einen Vormarsch, der buchstäblich im Schlamm stecken blieb. Demoralisiert zog die Potomac-Armee in ihr Winterlager.

Wenige Wochen später ersetzte Lincoln Burnside durch Joseph Hooker und schickte ihn auf den westlichen Kriegsschauplatz. Dort konnte sich der General mit den „Sideburns“ bei der Verteidigung des strategisch wichtigen Knoxville in Tennessee einigermaßen rehabilitieren. Bei der Belagerung von Petersburg vor Richmond im folgenden Jahr sah er sogar die Chance, mit einem kühnen Unternehmen zum entscheidenden Kriegshelden der Union aufzusteigen.

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Es handelte sich um die berühmt-berüchtigte Kraterschlacht. Dafür hatten Burnsides Pioniere einen Tunnel unter die konföderierten Stellungen getrieben und mit dreieinhalb Tonnen Pulver gefüllt. Tatsächlich sprengte die Detonation am 30. Juli 1864 eine große Bresche in die Front. Aber der Sturmangriff Union geriet derart unkoordiniert, dass Robert E. Lee die Lücke wieder füllen konnte.

Das Publikum sah es ihm nach und wählte den distinguierten Ex-General nach dem Krieg zum Gouverneur von Rhode Island, später noch zum Senator und zum Präsidenten einer neugegründeten Organisation: der National Rifle Association.

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